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Das Tao des Bogens

Vortrag Alfred Schmidt
 

Alfred Schmidt und Shibata XXI. Sensei
am WienerBerg Kyudojo
 

Das Tao des Bogens, mit einer kritischen Betrachtung zu Eugen Herrigel

Vortrag Alfred Schmidt

 

Am Wienerberg (Eibesbrunnergasse, 1100 Wien) wurde im August das erste österreichische Kyudojo eröffnet. Die Bekanntheit von Kyudo im Westen geht primär auf Eugen Herrigels weithin rezipiertes Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ (1948) zurück. Allerdings blieb sein Verständnis von Kyudo durchaus problematisch. Die für das heutige Kyudo maßgeblichen geistigen Wurzeln liegen viel mehr im Taoismus als in einer ideologisch fragwürdigen Samurai-Romantik.

Anlässlich der feierlichen Eröffnung des neu erbauten Dojos am Wienerberg am 24. August dieses Jahres führte Kanjuro Shibata XXI. Sensei, formell gekleidet in einem violetten Kimono mit traditioneller shintoistischer Kopfbedeckung, nach einem Reinigungsritual zwei zeremonielle Schüsse vor. Seinen von ihm selbst gebauten Bogen schenkte er nach dieser Einweihungszeremonie den beiden Kyudovereinen Sei-shin und Gako-Kyudojo, die das Dojo errichteten und betreiben. Für den traditionellen Weg des japanischen Bogenschießens wurde damit das erste Praxis-Zentrum in Österreich eröffnet.

Wie zahlreiche andere östliche Traditionen findet Kyudo auch im Westen immer mehr Anhänger. Zu einem guten Teil geht diese Verbreitung im Europa zurück auf einen bereits in der 60er Jahren zum Kultbuch avancierten Text von Eugen Herrigel: „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ (1). Und doch war fast alles an diesem Buch ein Missverständnis ...

 
Herrigel kritisch betrachtet

Was Herrigel eigentlich suchte, als er in den 1924 als Philosophie-Dozent der neukantianischen Richtung nach Japan an die kaiserliche Tôhoku Universität in Sendai kam (2), war – wie er selbst schreibt – Mystik in einer möglichst authentischen Tradition. Primär interessierte ihn der Zen-Buddhismus. Japanische Freunde empfahlen ihm, es zuerst mit einer der praktischen Zen-Künste zu versuchen – also wandte sich Herrigel eher zufällig dem Kyudo zu. Und er stieß auf einen sehr eigenwilligen Lehrer: Awa Kenzo. Gerade als er Herrigel als Schüler aufnahm, war Awa nach einer Art religiösem Erleuchtungserlebnis dabei, eine recht eigenwillige, esoterische Kyudo-Religion zu entwickeln, die er „Daishadokyo“ (= Große Lehre vom Weg des Schießens) nannte und die schon gänzlich außerhalb der allgemein akzeptierten Kyudotradition in Japan stand und auch heftig kritisiert wurde (3). Obwohl Herrigel in seinem Buch mehr über Zen als über Kyudo spricht, hatten weder er selbst noch Meister Awa jemals praktische Erfahrungen mit dem Zen-Buddhismus (4).
Die starke Persönlichkeit Awas, seine dunkel und geheimnisvoll klingenden Äußerungen waren allerdings eine ideale Projektionsfläche für Herrigels mystische Erwartungen. Mit ergriffenem Staunen beobachtet er seinen Lehrer, wie er auch in der Dunkelheit – nur beim Schein einer winzigen Kerze – mitten in die Zielscheibe trifft und mit dem zweiten Pfeil dann den ersten spaltet. Für Herrigel ein Schlüsselerlebnis. Meister Awa selbst war es wohl eher peinlich, einen seiner Pfeile ruiniert zu haben (5).
Herrigels zentrale These vom ‚Es schießt‘ bleibt ebenso problematisch. Einmal, so berichtet er, verbeugte sich der Meister nach einem gelungenen Schuss Herrrigels und sagte: “Eben hat Es geschossen.“. Es gibt keine Hinweise unabhängig von Herrigel, dass Awa Kenzo diese Formulierung je verwendet hätte, noch erwähnt Herrigel sie selbst in seinem ersten Bericht über seine Kyudo-Erfahrungen aus 1936 (6). Dahinter steht vermutlich späte Mystifizierung eines sprachlichen Missverständnisses. Herrigel und Awa konnten sich nur mit Hilfe eines Dolmetschers unterhalten. Sein Lehrer hatte vermutlich schlicht gemeint: „Das ist es!“, „Jetzt hat es geklappt!“ (7)

Das Licht, in dem Kyudo in Herrigels Buch erscheint, ist durchwegs das seiner eigenen nebulös mystischen Erwartungen und Projektionen.

Was aber eigentlich gegen die Stilisierung Herrigels zum ‚Ahnherrn’ des westlichen Kyudo spricht, ist nicht so sehr sein populär gewordenes Buch von 1948, sondern das, was er schon davor, noch vor und während des Zweiten Weltkriegs über dieses und verwandte Themen geschrieben hatte. Etwa in dem 1936 publizierten Artikel “Die ritterliche Kunst des Bogenschießens“ (8). Dort finden sich Sequenzen wie diese:

“Es ist für den Japaner nicht nur selbstverständlich, sich in die gewachsene Ordnung seines völkischen Daseins einzufügen, sondern sogar um ihretwillen das Opfer der eigenen Existenz bringen zu können... Und hier wird nun erst die Frucht des buddhistischen Einflusses und damit des unbewußt erzieherischen Wertes der in ihm gründenden Künste sichtbar: von seinem inneren Lichte erhält der Tod, ja sogar der Freitod um des Vaterlandes willen seine erhabene Weihe ...“ (S 211).

Und im 1944 publizierten Aufsatz „Das Ethos des Samurai“ (9) geht es in ähnlichem Ton weiter:

„Der Weg des Ritters ist somit, in seinem tiefsten Sinn verstanden, der Weg in den Tod. Oder doch wenigstens der Weg zu derjenigen Gesinnung, welche im Tod um der Treue willen den Sinn des kämpferischen Lebens und die Sehsucht aller tapferen Herzen sich erfüllen sieht.“ (a.a.O., S. 7) ... „Auch der japanische Soldat von heute ist so geartet und erzogen, dass er wie sein ritterlicher Ahnherr, Furcht vor dem Tode nicht kennt.“ (a.a.O. S. 11) ... „Denn wo in aller Welt ist die Unbedingtheit des Opfermutes und des Treuseins, durch welche sich der Samurai und der Soldat von heute auszeichnen, noch anzutreffen – wenn nicht im deutschen Volke?”. (S14)

Herrigels Aussagen sprechen für sich selbst. Sein Ton ist unverhohlen faschistoid und durchdrungen von einem romantisierenden Samurai-Kult, der sich nahtlos in die NS-Ideologie einfügte. Dass sich nichts von diesem Ton mehr in seinem 1948 erschienen und berühmt gewordenen Buch findet, zeugt zumindest von einer gewissen politischen Sensibilität Herrigels.

 
Geistige Wurzeln

Wesentlich wichtiger für das Verständnis von Kyudo als der vielfach unkritisch und euphemistisch beschworene Geist der Samurai und des Bushido ist in meinen Augen eine andere, wesentlich ältere Tradition, nämlich die des chinesischen Taoismus.
Die Silbe ‚do‘ in Kyudo – wie in zahlreichen anderen japanische Künsten – geht etymologisch zurück auf den chinesischen Begriff ‚tao‘. Kyudo ist also schlicht das „Tao des Bogens“. Zwar taucht der japanische Begriff in dieser Zusammensetzung (Kyu=Bogen – do=Weg) erst relativ spät auf, – er soll erstmals um 1660 vom Kyudomeister Morikawa Kozan (10) verwendet worden sein. Die Idee und auch die mit in diesem Verständnis verbundene Praxis sind aber wesentlich älter.
Schon die Taoisten im alten China betrieben Bogenschießen als meditative Übung (11). Liä Dsis bekannte taoistische Schrift ‚Das wahre Buch vom quellenden Urgrund‘ etwa nimmt an mehreren Stellen Bezug auf das Bogenschießen. Und auch in konfuzianischen Kreisen galt das Bogenschießen als Mittel der Charakterbildung und geistigen Übung. Von Meister Konfuzius stammt der Ausspruch: „Daran, wie ein Mann seinen Bogen spannt, kann man seine Moral und sein Handeln erkennen.”
Die Wurzeln reichen zurück bis ins sogenannte ‚Buch der Riten’, einen der klassischen Texte des alten China:

„Schon im Buch der Riten Li Ji, Kap. 43, finden wir eine geistige Durchdringung des Bogenschießens, die es aus der Ebene des rein Technischen geradezu zu einer feierlichen Handlung erhebt und eine Beziehung zwischen sittlicher Haltung und Schießkunst herstellt. ... Die Bewegungen der Schützen gehen nach den Regeln der Sitte vor sich, die sorgfältige und fest zugreifende Handhabung von Bogen und Pfeilen gestattete nach diesem Buche Rückschlüsse auf die sittliche Tüchtigkeit und den Lebenswandel des Schützen ... Es handelt sich also gar nicht mehr um etwas ‚Sportliches‘, sondern um eine Ausbildung der Seele.“ (12)

Dieses zeremonielle, nach strenger Etikett festgelegte Bogenschießen in Adelskreisen gelangte ab dem 4. Jh. n. Chr. von China nach Japan und ist der historische Ursprung des Kyudo (13). Auch wenn man sich im Japan dieser konfuzianisch taoistischen Wurzel kaum noch bewusst sein mag, ist sie bis heute lebendig geblieben.

 
Kyudo als meditative Praxis

Kanjuro Shibata Sensei XX., über 80-jähriger Meister der Heki-Ryu Bishu Chikurin ha, der zahlreiche Dojos in USA und Europa gegründet hat, lehrt Kyudo auch heute ausdrücklich als meditative Praxis. Letztlich geht es darum, den eigenen Geist „zu reinigen“.

„Die Praxis des "do" hat keinen Begriff von einem Ziel. Die Art des Kyudo, von der ich möchte, dass ihr sie versteht, beruht nicht darauf, immer besser und besser zu werden. Diese Disziplin ist ein Mittel, den eigenen Geist durch Selbst-Reflexion zu reinigen.“ (14)

Wovon der Geist durch die Kyudopraxis gereinigt werden soll, sind – nach Shibata Sensei – sieben elementare Emotionen:
„Die Menschen lassen sich von sieben grundlegenden emotionalen Beunruhigungen irritieren: Fröhlichkeit, Zorn, Melancholie, Hoffnung, Traurigkeit, Angst und Erschrecken. Das Ziel von Kyudo ist es, diese Verstrickungen zu durchschneiden, um 'mu' zu erfahren: die Leere.“ (15)

Die Liste genau dieser sieben Emotionen ist ein wohlbekanntes Element der Traditionellen Chinesischen Medizin (16) und geht damit direkt auf den Taoismus zurück. ‚Mu’ – die Leere bzw. ‘Mushin’ der leere Geist, von dem Shibata Sensei hier spricht, verweisen andererseits auch direkt ins Zentrum der Zen-Tradition seit Huineng. Gleichzeitig sind es aber zentrale Begriffe des Taoismus. Das Prinzip des ‚wu-wei‘, des nichthandelnden Handels, charakterisiert die Wirkungsweise des Tao und auch des Weges des Bogens. Auf die enge innere Verwandtschaft bzw. den großen Einfluss des Taoismus auf die Entwicklung des Zen-Buddhismus in China ist bereits vielfach hingewiesen worden (17).

Die Besinnung auf diese geistigen Wurzeln des Kyudo kann helfen zwei irreführende Missverständnisse zu verhindern: nämlich das eines romantisierenden Samurai-Kultes in Stile von Herrigel, aber auch das einer Verflachung zum wettkampfmäßigen Sport, bei dem es nur noch um Konkurrenz, Trefferzahlen und Dan-Grade geht.
Der schlichte Rat, den Shibata Sensei XXI. seinen SchülerInnen immer wieder gibt, lautet: das Wichtigste ist, Freude an der Kyudo-Praxis zu haben. Jeder einzelne gelungene Schuss erzeugt Freude. Doch als wichtigstes Prinzip gilt – wie in allen ähnlichen spirituellen Übungen –: was zählt, ist letztlich immer nur die eigene Erfahrung in der Praxis. Dagegen bleibt alles Theoretisieren blass und nutzlos.

Abschließend sollen daher die persönlichen Erfahrungen einiger Wiener Kyudokas mit ihrem Weg des Bogens wiedergegeben werden:

Peter: „Kyudo bedeutet zu üben, sein Herz genauso gut außerhalb des eigenen Körpers schlagen zu lassen. Übungsweise 28m entfernt in einem kleinen schwarzen Kreis. Dort trifft man es manchmal wieder, mit dem eigenen Pfeil! Das mag schmerzvoll sein und die Augen fühlen sich an, als ob sie jeden Augenblick zu tränen beginnen. Eigentlich sind es Tränen der Lösung von eingefahrenen Verhaltensweisen – also Weinen vor Glück! Und das Schöne ist: man kann kein Stereotyp davon machen. Wiederholungen sind nur Füllstoff auf dem Weg zum nächsten Original.“

Herbert: „Endlich wieder spielen können und nicht meine Tätigkeit einem Nutzen unterzuordnen. Kyudo hat mir einen tieferen Einblick in das Lernen gegeben, eine Erfahrung, welche ich als Lehrer wohl gewusst habe, aber so intensiv nicht erlebt habe. Konzentration auf mein inneres Erleben, Verstand, Technik versus Unterbewusstsein erleben, seine eigenen Wünsche kennen lernen und akzeptieren, den eigenen Wunsch nach Erfolg erleben und bearbeiten und sich nicht mit anderen messen. Vergangene prägende Erlebnisse tauchen auf und sie bearbeiten; Misserfolg mit Gleichmut und Demut hinnehmen, nicht das Ziel, das Treffen ist wichtig, sondern der Weg, die richtige Haltung, die korrekte Durchführung, die Konzentration auf das momentane Tun, das Rundherum auszublenden, seine eigene innere Ruhe finden. Kyudo hat auch was mit Roulett zu tun: einmal muss man ja treffen.“

Walter Z.: „Persönlich bedeutet Kyudo für mich die immer wieder sich bietende Chance, los zu lassen in dem Sinn, dass ich mich mit mir befasse und mich nicht in eine Konkurrenz zu anderen manövrieren lasse. Es hat mein Leben insofern verändert, als für mich neben der Architektur ein anderes Thema, eben Kyudo, ebenfalls wichtig geworden ist. ... Allerdings hatte meine lebensbedrohende Krankheit einen viel größeren Einfluss und ich kann heute nicht sagen, was woher gekommen ist.“

Walter M.:“ Mehr als vor meiner Kyudozeit neige ich dazu, einen "fliegenden Pfeil" nicht beeinflussen zu wollen und laufende Dinge laufen zu lassen... Vor Abschuss des Pfeiles hat man aber alle Möglichkeiten den Flug des Pfeiles zu beeinflussen!!!“

 

 

(1) Ursprünglich erscheinen 1948 bei Weller in Konstanz, später im O.W. Barth Verlag München, mittlerweile in der 43. Auflage. Sein Titel wurde seither in unzähligen Varianten abgewandelt, vom „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ bis zum „Zen in der Kunst des Mordens“.
(2) Vgl. Niels Gülberg: Eugen Herrigels Wirken als philosophischer Lehrer in Japan.
http://faculty.web.waseda.ac.jp/guelberg/publikat/herrigel.htm#bibl
(3) Yamada Shoji: The Myth of Zen in the Art of Archery. In: Japanese Journal of Religious Studies 28, Heft 1-2 S 9; publiziert auch unter: http://www.nanzan-u.ac.jp/SHUBUNKEN/publications/jjrs/pdf/586.pdf
(4) Yamada Shoji, a.a.O. S. 11
(5) Yamada Shoji, a.a.O. S.16 ff.
(6) Eugen Herrigel: Die ritterliche Kunst des Bogenschießens. In: Nippon. Zeitschrift für Japanologie. 2. Jg. 1936, Heft 4, S.193-212
(7) Vgl. Feliks Hoff: Herrigel and the Consequences. In: 1. Internationales Kyudo-Seminar Hamburg 1994. Dt. Kyudo-Bund 1995. S. 28
(8) Eugen Herrigel: Die ritterliche Kunst des Bogenschießens, a.a.O. S.193-212
(9) Erschienen in: Feldpostbriefe der Philosophischen Fakultät / Universität Erlangen, 1944, Bd 3.
(10) Vgl. Felix Hoff: Kyudo. Die Kunst des japanischen Bogenschießens, Berlin 1993, S.13
(11) Vgl. Hans Joachim Stein: Die Kunst des Bogenschießens, Bern 1985, S. 37, der sich hier auf John Blofield: Das Geheime und Erhabene – Mystizismus und Magie des Taoismus, Bern 1974 bezieht.
(12) Vgl. Erwin Pouselle: Die Typen der Meditation in China. http://www.zhenjiu.de/Literatur/Fachartikel/Chinesischemeditationstypen.htm ; und:

The Li Ki (The Book of Rites) Book XLIII: She I or the Meaning of the Ceremony of Archery; http://www.100jia.net/texte/liji/liki2/
(13) Vgl. Hideharu Onuma: Kyudo – The Essence and Practice of Japanese Archery. Tokyo 1993, S.12. Die Taishi-Ryu benannt nach dem Regenten Shotoku Taishi (593-622) gilt als die erste namentlich bekannte Kyudoschule in Japan.
(14) Kanjuro Shibata XX. Sensei: Der das Böse vernichtende Yumi. Vortrag in Kyoto 1985,
(15) Kanjuro Shibata XX. Sensei: Der das Böse vernichtende Yumi., a.a.O.
(16) Vgl zB: Jacqueline Pinecke: Die Sieben Emotionen
(17) Vgl z.B Allan Watts: Zen. Tradition und lebendiger Weg. Erster Teil, Abschnitt I: Die Philosophie des Tao

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